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Heute ist einer meiner Väter verstorben!

Heute ist Harald Jürgen Freyberger gestorben. Ich erfuhr es über Whatsapp (schöne neue Welt!) Da zog es wie ein Blitz durch mich. Der Versuch das irgendwie zu ignorieren gelang mir nicht und es kam nur ein “Ach Du Scheiße” heraus. Ein kurzer Schock, ein kurzes Gespräch und der Versuch es zumindest im nächsten Moment zur Seite zu schieben. Und dann kam er wieder der Blitz…

Harald Freyberger war mit Sicherheit einer der prägendsten Menschen für mich als Therapeuten. Und mit Sicherheit nicht nur für mich! Ich möchte ihn mit Sicherheit hier nicht glorifizieren, denn ein Heiliger war er nicht. Er rauchte wie ein Schlot und schrieb wahrscheinlich viele Dinge auf irgendwelche Zettel, die dann im Nirvana wieder verschwanden…

Für mich umgab ihn immer eine Aura. Etwas, was mich in seinen Bann zog. Wenn er sprach klebte ich an seinen Lippen. Ich kann mich heute nach an Gespräche und Worte von ihm erinnern, die mehrere Jahre zurückliegen.

… Durchatmen…

1. Begegnung: die Prüfung

Meine erste direkte Begegnung mit ihm war in eine Prüfung. Ich hatte meine Psychiatrieprüfung bei ihm. Ich saß im Vorraum und wartete geduldig auf seine verspätetes Erscheinen. Seine Sekretärin Frau Kadach beruhigte mich derweil.

Er bat mich rein in seiner schlurfigen Art. Er ist ziemlich groß und hat ein freundlichen und gütigen Gesichtsausdruck. Er zündet sich eine Zigarette an und stellt mir Fragen. Genau… Ein Professor, der in einer Prüfung raucht… Einzigartig… Und das konnte sich wahrscheinlich nur er erlauben.

Die Fragen

Seine Fragen waren nicht die üblichen, wo man einfach nur sein Wissen herunterbetet. Er regte zum Denken an. Er erzählte von interessanten Statistiken und man fing an ein fachliches Gespräch zu führen. Interessiert schrieb er mit während die Kippe in seinem Mund steckte. Die Fragen wurden mit zunehmender Zeit schwerer und am Ende meinte er nur lapidar: “Na da hören wir mal lieber auf, bevor sie sich um ihre Note reden…”

Mit einem Lächeln gab er mir glaube ich eine 1- und fragte mich, wo denn die Reise für mich hingeht. Ich antwortete, dass ich gerne in die Forschung gehen würde. Er nickte wohlowllend, zurückgelehnt in seinem Stuhl meinte er, dass es gerade in der Therapieforschung unheimlich gute Möglichkeiten gibt. Psychotherapeuten und Forscher brauchen wir. Er ermunterte mich unbedingt diesen Weg zu gehen. Am besten auch einen Doktor zu machen. Das war wahrscheinlich seine Art neue Schäfchen zu gewinnen. Ich nahm es interessiert zur Kenntnis, dachte mir aber nichts dabei.

…Durchatmen…

Das Wiedersehen in der Klinik

Das Schicksal wollte es, dass ich in einer seiner Tageskliniken, in Greifswald anfing. Dort sah ich ihn einmal in der Woche, wie er in aller Ruhe und größter Gelassenheit alle Aufs und Abs des Alltags einer Tagesklinik abfederte. Ich war definitiv beeindruckt. Und dann wäre ich beinahe rausgeflogen. In der Tagesklinik war man mit meiner Leistung unzufrieden. Ich war schon fast raus aber dann wechselte ich doch ins Haupthaus nach Stralsund. Auf die Suchtstation… Ein Glückstreffer. Nicht nur hatte ich da einen großarten Oberarzt, Georg Schomerus, ich konnte auch mehr mit Harald Freyberger arbeiten und ihn in der Supervision erleben. Und was ich da erlebte prägt mich heute und wahrscheinlich ein ganzes Therapeutenleben lang.

Manchmal wenn wir unsere schwierigsten Patienten vorstellten unterbrach er uns. Zuviele Informationen halfen ihm nicht weiter. Er überlegte einen Moment und dann kamen Anekdoten, Statistiken, Bücher und Einsichten, die mich ein ums andere Mal umhauten. Nicht nur, dass er sich in verschiedenen Therapierichtungen auskannte: Psychoanalyse, Tiefenpsychologie, Verhaltenstherapie… Kunst und Kultur war auch sein Steckenpferd… Es gab immer Anregungen. Immer half er einem um eine Ecke zu denken. Etwas zu sehen für das man blind war. Selten kamen konkrete Anweisungen. Wer das von ihm erhoffte, war mit Sicherheit enttäuscht. Aber stattdessen bekam man Inspiration und einen weiten Blick!

… Tief atmen…

Die Ehrfurcht

Ich war immer ehrfürchtig vor ihm. Aber er hat einen nie das spüren lassen, dass er ein großer bekannter Professor war. Im Gegenteil… Immer versuhte er zu helfen, zu unterstützen wo er konnte. Das hat natürlich auch Nachteile. Strenge war seine Sache nicht und so liefen manchmal Sachen doch nicht so wie man sich das wünscht als Mitarbeiter in einer Klinik. Aber ich nie im Leben hätte ich, das eintauschen wollen, was er mir und uns stattdessen gegeben hat:

Freiheit und Würde!

Psychologen und Ärzte waren bei ihm gleichrangig. Etwas, das Seltenheit ist in Deutschland. Er hat gesehen, dass Psychologen einen großen Wissensschatz mitbringen für die Arbeit in der Psychiatrie. Dass wir Psychotherapie auch in einer Psychiatrie machen wollen und den jungen Ärzten dabei helfen und unterstützen können. Dafür bin ich ich unendlich dankbar! Weil ich weiß, wie es anderen Kollegen geht. Welchen Erniedrigungen sie ausgesetzt sind und was das mit ihrem Selbstwert und Selbstverständnis macht.

Freiheit

In einer psychoanalytisch geprägten Klinik zu arbeiten ist nicht immer einfach. Als Verhaltenstherapeut steht man zwar nicht alleine da, aber es dreht sich doch viel um diese Richtung. Und obwohl er ein großer Verfechter der Analyse ist, hat er uns immer die Freiheit gegeben unsere Therapierichtung zu lernen und zu leben. Er hat mich unterstützt als ich in die USA fliegen wollte, um meinen ersten ACT Kongress zu besuchen. Ich musste es nicht mal erklären. Für ihn war klar, dass jeder in seiner Richtung vorangehen muss. Für manche ist das Psychoanalyse, für andere DBT oder CBASP… Das war so ein Glück!!! Ich kann es bis heute kaum fassen.

Ein Mann, der so groß war, dass er die Größe hatte sich nicht immer ernst zu nehmen!

Legendär sind seine Gartenfeiern gewesen, bei dem er Freund und Feind einlud ein Fest zu feiern und Assistenten und Oberärzte sich gegenseitig auf die Schippe zu nehmen. Es wurde gelacht, getanzt und getrunken. Es wurden Grenzen überschritten und manch ein Oberarzt, war danach reichlich pekiert, wenn die kleinen Assistenten ihn mal ihre ironische Sicht der Geschehnisse darlegten. Wir konnten Witze über ihn machen und ihm seine Zettelwirtschaft vorführen, seine überlässige Art… Aber nie böse… Denn böse konnte man ihm kaum sein. Zuviel Güte überstrahlte sein Lächeln und sein Gesicht. Die Stücke sind legendär und ich bin stolz und glücklichen ein Teil davon gewesen zu sein…

Was bleibt…

Und nun sitze ich hier. Habe mehrere Taschentücher mit Tränen benetzt und denke an ihn und die Zeit, die war. Der Mensch, der gegangen ist und nicht mehr zurückkehrt! Keine Möglichkeit mehr seine Gegenwart zu erleben. Keine Fragen, die ich stellen kann. Was bleibt für mich ist sein Wesen, was da in seinem Stuhl sitzt in aller Ruhe seine Zigarette anzündet und anhört, was ich zu erzählen habe. Ich habe mich immer willkommen gefühlt, obwohl er sehr sehr beschäftigt war. Seine Großzügigkeit, der er mir und anderen entgegenbrachte ist tief in meinem Herzen eingebrannt. Er hat vielen Menschen so viel gegeben, dass nun ein ganz ganz großes Loch entstanden ist. Und dieses Loch zu schließen wird für viele eine große Aufgabe werden! Für die Angehörigen am Meisten, aber auch für viele Menschen, die das Glück hatten in seiner Gegenwart zu wachsen!

In ewiger Dankbarkeit! Und in Gedanken bei allen Menschen, die um Harald J. Freyberger trauern!

P.S. Wenn Du eine Geschichte mit ihm hast, die Du gerne teilen möchtest, dann schreib sie doch unten in die Kommentare.

*Update 13.12.2018:

  • Die Mitglieder der Doping-Opfer-Hilfe haben hier einen Nachruf veröffentlicht
  • Ein Nachruf der Universität Greifswald hier

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  • 2007 in der Psychiatrie in Stralsund. Ich absolviere als Studentin gerade mein sechswöchiges Praktikum für mein Nebenfach auf der Station für affektive Störungen und soll in der Morgenrunde der Ärzte und Psychologen einen neuen Patienten kurz vorstellen. Da ich wenig Zeit zur Vorbereitung habe, übernehme ich die Diagnose vom Einweisungsschein
    des Hausarztes: Endogene Depression. Die Kurzvorstellungen der anderen Patienten laufen unkommentiert durch. Als ich meine Vorstellung beendet habe, blickt Herr Freyberger mich an und bittet mich die ICD 10-Kriterien zu erläutern. Ich stehe völlig auf dem Schlauch und gebe mein schlechte Vorbereitung zu. Herr Freyberger sehr ruhig aber doch leicht ärgerlich: "Sie sind nicht schlecht vorbereitet sondern der Hausarzt. Sie haben nur nicht hinterfragt! Diese Diagnose gibt es heute aus gutem Grund nicht mehr, deshalb haben Sie diese auch nicht bei mir gelernt." Darauf augenzwinkernd der Oberarzt von der Suchtstation:
    "Herr Freyberger, ich fürchte bei den Hausärzten wird es diese Diagnose noch geben, wenn wir das Symposium zu Ihrem 70. Geburtstag veranstalten." Darauf Herr Freyberger seufzend:"Herr Lucht, ich hoffe sie bis dahin ausgerottet zu haben, aber vermutlich haben Sie Recht."
    Und damit war die Sache durch und ich habe nie wieder eine Diagnose einfach so übernommen ohne mir ein eigenes Bild zu machen.
    Später ist mir der sanfte Riese noch oft begegnet auf der "Subjektiven Seite der Schizophrenie" wo er stets Mitveranstalter war und mit Georg Schomerus, die aktuelle Forschung u.a. zu Stigmatisierung vorgestellt hat. Diese abzubauen war ihm immer ein Anliegen, denn "Der Mensch ist immer mehr als seine Diagnose!"

    • Hey Frauke,

      Danke für deine Geschichte. Ja er hatte immer viele Ideen, wie er die Arbeit menschlicher machen kann. Und seine freundliche Art, dich auf einen Fehler hinzuweisen... Es gibt so viele dieser kleinen Geschichten am Morgen mit ihm in der Besprechung...

  • Am Montag vor seinem Tod hatte ich Dienst und Herr Freyberger leitete, was dieses Jahr gar nicht mal so oft vorkam, die Frühbesprechung am Dienstag. Ich könnte unglaublich viel schreiben, aber diese meine letzte Begegnung mit ihm bringt in wenigen Minuten soviel auf den Punkt, was ihn ausgemacht hat. Volle Konzentration und Präsenz, ein paar immer gleichen Sätze, immer wieder echt. Nickt mir zu, "Sie haben das Wort!" Ich berichte von einer eher mäßig ereignisreichen Nacht, er hört genau zu, reagiert non-verbal direkt auf die Punkte, die schwerere Konsequenzen für die jeweiligen Patient_innen bedeuten. Die Bettensituation wird besprochen, dann die Frage, ob irgendwo Unterstützung gebraucht wird. Eine Stationsärztin merkt den krankheitsbedingten plötzlichen Mangel an therapeutischen Angeboten auf ihrer Station an. Er hört zu, 100%, sagt "Das hab ich verstanden. Ich kümmer mich drum!" Und wenn Professor Freyberger das sagt, dann fühlt man sich verstanden und entlastet und weiß, es wird eine Lösung geben. "Gibt es sonst noch was, was wir besprechen müssen?" Offenbar nicht.
    Und dann, auch wieder der immer gleiche Satz, aber jeden Tag wieder völlig neu und ernst gemeint und etwas, was wir uns in aller Breite und Tiefe und bei allen Schwierigkeiten bei unserer Arbeit öfters vor Augen halten könnten, was ich mir seinetwegen wahrscheinlich bewusster mache als ich es sonst würde. Und nicht der schlechteste Satz, den man von einem Lehrer, Vorbild, großen und großartigen Menschen gehört haben kann, wenn man sich nicht verabschieden konnte:
    "Dann viel Vergnügen!"

    • Bestens auf den Punkt gebracht liebe Luise. Diese sparsame Kommunikation und jeden Tag der gleiche Abschied. Ein Satz, den man so nie erwarten würde in einer Psychiatrie und immer ein kleines Gefühl vom positiven Aufbruch bedeutete. Danke für diese Erinnerung.

  • ... so viel Sicherheit vermittelt, in einer garantierten Zuverlässigkeit, so dass ich die Endlichkeit vergaß.
    Und plötzlich war das Ende dieser so bereichernden und wohlwollenden Begleitung da, als ich am Donnerstag die Terminabsage für Supervision erhielt.
    Wohin mit diesem Schmerz?
    Denn ich habe meinen einzigen geistigen Vater verloren.

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ACTforLIFE
Tags: Freyberger

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